Auf Forschungsreise: Kautokeino, Lappland

Die Sami haben sich altes Wissen bewahrt, das ihnen in der Klimakrise nun hilft – aber durch diese gleichzeitig bedroht ist. Auch an der Sami-Hochschule in Kautokeino, der Hauptstadt des Urvolkes in Nordnorwegen, kämpfen indigene Forscher für den Erhalt der traditionellen Sichtweisen auf Umwelt und Natur. Ich habe eine Woche dort verbracht, um Reportagen darüber zu schreiben und mein Forschungsprojekt zum samischen Journalismus und dem Klimawandel im Feld zu beenden.

Von Alta fährt der Bus fast zwei Stunden durch die Finnmark, die größte Hochebene Norwegens, deren Landschaft mich verzaubert: wilde Wasserfälle, steile Schluchten, stille Seen und immer wieder eine enorme Weite, aus der mir das Orange, Rot und Braun des Indian Summer in Lappland entgegen leuchten.
In dieser Hütte des „Arctic Camping“ bin ich die Woche über untergebracht. Am ersten Tag muss ich viel herumlaufen, denn es gibt nur wenige Informationen im Netz über Wandern, Angeln und den Ort selbst. Und bei den Sami, das weiß ich durch meine Forschungen und den letzten Besuch, gibt es die meisten Informationen im Gespräch vor Ort. Es braucht Zeit, um sich auf den Ort und seine Menschen einzulassen.
Kautokeino ist Hauptstadt mit Hochschule, TV-Sender, Radio, Zeitungen. Es ist aber auch ein langgezogenes Straßendorf, das rund 3000 Einwohner hat und fast halb so groß ist wie Hessen – manche Dimensionen sind sehr viel größer. Anderes fällt kleiner aus wie etwa die Diskothek an der Hauptstraße, die hier zu sehen ist.
Die Bibliothek ist ein wichtiger Ort, an dem sie mir ein Fahrrad, die einzige Wanderkarte für Touristen und noch ein traditionelles Angelgerät geliehen haben. Hier steht mein Kollege Torkel Rasmussen neben dem Leiter der Ausleihe. Torkel hat mich eingeladen, im weltweit einzigen Master für Indigenen Journalismus Klimaberichterstattung zu lehren. Ich interessiere mich in der Forschung und als Reporter für das alte Wissen der Sami, das gerade hier, in ihrer Hauptstadt, an vielen Stellen sichtbar wird. Und es wird wichtiger in der Klima- und Umweltkrise, für uns alle. Denn Indigene haben Jahrtausende andauernde Erfahrungen mit Veränderungen der Umwelt und des Klimas gemacht, gerade auch hier in Sápmi, dem Land der Samen in der Arktis. Was also kann man hier (journalistisch) sehen, dass uns im Umgang mit der Umwelt – bei allen Unterschieden – helfen könnte? Das ist die Frage, die mich hierhergeführt hat – und schon 2017 zu Rentier-Samis nach Schweden, um das Projekt zu beginnen: https://www.faz.net/aktuell/wissen/erde-klima/klimawandel-wirkt-sich-auf-rentiere-in-nordschweden-aus-15279794.html
Ich biege nach der Brücke über den Fluss, in Richtung des Messerladens, der immer geschlossen hat, und bin erstaunt: Da sitzen Mädchen im Hof und schlagen Gras trocken und legen es zusammen. Doch dann erinnere ich mich an die Bücher von Hans Ulrich Schwaar einem der wenigen deutschsprachigen Autoren, der in Lappland lebte und darüber schrieb: Die Schülerinnen bereiten in ihrem Schulhof Seggengras aus den Sumpfgebieten der Finnmark vor, um es in Winterstiefel zu legen, wo es die Füße gegen die Kälte isoliert. Eine uralte Technik, die hier immer noch lebendig ist.
Diese samische Karte habe ich aus dem Buch „Das Herz des Nordes“ des bekanntesten samischen Schamanen der Neuzeit, Ailo Gaup. Er starb leider schon zu früh 2014. Ich las es, um mich auf die spirituelle Seite der samischen Lebensweise vorzubereiten – und lernte darin teils, was ich in Kautokeino fand: ein großer Respekt für Orte, für die Landschaft mit ihren Eigenheiten, Aufgaben und Bedeutungen. Und daher auch für die Namen der Berge, Flüsse, Seen und Tiere. Hier sieht man neben Elchen und Rentieren auch hoch gebaute Essenspeicher und natürlich die Lavvus, die samischen Zelte, die auch überall in Kautokeino als Symbol der nomadischen Lebensweise stehen – in der Schule, neben Häusern, an der Hochschule und auch dem Campingplatz.
Die Finnmark ist Birkenland. Deshalb wird hier Vieles aus Birken gemacht, bis hin zu Kerzenständern.
Nur rund zehn Prozent der Samen betreiben insgesamt noch die halbnomadische Rentierwirtschaft; in Kautokeino sind es noch mehr. Der Lebensstil richtet sich aber bei allen Samen, nicht nur den Rentierhaltern, in ihrer Hauptstadt stark an der Natur aus. Als ich ankam, Mitte September, war Jagdzeit für Schneehühner, die dann an manchen Türrahmen hingen. Eine Journalistin, die ich sprechen wollte, war tagelang auf Elchjagd, wie viele andere auch. Angler ist hier fast jeder, genauso wie Beerenpflücker. Sie pflücken Heidelbeeren, Preiselbeeren wie diese hier und die orangefarbenen Moltebeeren, die seltener sind und höhere Preise auf dem Markt ezielen. Marmelade von allen dreien gehört im Hotel, wo ich noch zwei Nächte war, zum Standard. Genauso, wie ein feiner Rentiereintopf mit Pilzen und Preiselbeeren – zum Frühstück.
Hier habe ich mich am Campingplatz in ein großes Lavvu geschlichen und etwas meditiert, in wirklich toller Atmosphäre. Sonst werden hier Touristengruppen gegen Aufpreis bei samischen Abendenden am Lagerfeuer verpflegt.
Ein Zelt steht auch vor der neu gebauten, schönen Hochschule, in der Samisch unterrichtet wird, aber auch Journalismus und das traditionelle Handwerk mit Naturmaterialien, das Duodij. Ich habe hier einige Arbeitstage in aller Stille verbracht, mit großer Aussicht auf die Berge der Finnmark und den Kautokeino-Fluss davor.
Das Freilichtmuseum am Fluss zeigt die alten Wohnstätten, Koten und Zelte. Als ich hierher komme, sind die Türen geöffnet. Eine Gruppe Samen kocht in einer der Hütten und isst danach auf der Wiese.
Der Kautokeino-Fluss hat den Ort groß gemacht als Handelsweg für Boote und über die Flussfischerei, die eine große Rolle spielte und spielt; mehr Sami sind Fischer – darunter die Kultur der Küsten-Sami – als Rentierzüchter. Nur sprechen wir öffentlich fast nur über die Rentier-Sami. Zu diesen medialen Stereotypen haben wir am Sami College gearbeitet.
Ich schreibe hier in Kautokeino Reportagen über die traditionelle Fischerei und traditionelles, ökologisches Wissen. Ich habe auch selbst geangelt – und mit vielen darüber gesprochen. Das geht hier gut und eröffnet oft den Einstieg in ganz andere Themen.
Ein Hecht und ein Barsch sprangen dabei heraus. Es wurde etwas kälter, vielleicht war es daher nicht mehr, v.a. auch zum Essen. Und nur das zählt für Sami. Sie fragen direkt, ob man Sportfischer ist oder ein Verwerter? Die erste Gruppe wird nicht gern gesehen, die die Fische meist zurücksetzt. In Deutschland ist es andersrum, da bin ich als „Kochtopfangler“ in der Minderheit. Und oft auch ethisch in der Defensive für das Töten.
Ich habe dann für mich selbst in der Campingplatz-Küche gekocht – und endlich mit einem Webvideo gelernt, wie man richtig fillettiert. Das Messer dazu hat mir mein Onkel schon 1995 von einer Lapplandreise mitgebracht. Es gibt hier diese Messerkultur; in verschiedenen Größen bieten die Sami sie an. Sie sind schön, aber auch sehr teuer. Die Rentierzüchter haben sie bei der Arbeit am Gürtel, in drei Größen, wie ich in Schweden sah.
Etwas außerhalb liegt ein Wunderort, der auch der bekannteste weit und breit für Touristen ist: Juhl’s Silbergallerie. Eine Deutsche und ein Norweger haben vor 60 Jahren in Kautokeino Lager geschlagen und beschlossen, hier eine Schmuckschmiede aufzubauen. Die wurde groß und größer – und zu einem der schönsten Orte, denen ich auf Reisen begegnet bin: mit besonderer Architektur und ganz verschiedenen arktischen sowie und südlichen Ausstellungsräumen, die Tradition und Moderne verbinden, in denen zehn Silberschmiede arbeiten.
Enkel Iver Juhl steht am Tresen und verkauft die Ware.
Schmuck aus Rentierhorn ist noch etwas billiger als das Silber, das nicht aus der Region kommt, aber meist mit samischen Formen bearbeitet wird.

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